Weniger Mandate, mehr Wirkung: Warum die Ära der Multi-Aufsichtsräte zu Ende geht
Es war ein Moment mit Signalwirkung: Auf der Hauptversammlung des Bahntechnikunternehmens Vossloh am 7. Mai 2025 wurde Rüdiger Grube, ehemaliger Bahnchef und heutiger Aufsichtsratsvorsitzender, öffentlich für seine Vielzahl an Mandaten kritisiert. Die Investoren forderten unmissverständlich: weniger Mandate, mehr Engagement. Grube, der aktuell zwölf Aufsichtsratsposten innehat, zeigte sich einsichtig – und kündigte an, sich aus mehreren Mandaten zurückzuziehen. Ein Einzelfall? Mitnichten. Es ist ein deutliches Zeichen für die Zeitenwende in der Aufsicht.
Das Multi-Mandat verliert an Reputation
. Bevorzugt werden Persönlichkeiten, die zwei bis drei Mandate aktiv und kenntnisreich ausfüllen – nicht mehr, nicht weniger. Die Botschaft: Qualität schlägt Quantität.
Erfahrung braucht Breite – oder etwa nicht?
Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Viele Multi-Aufsichtsräte bringen ein über Jahrzehnte gewachsenes Netzwerk, sektorübergreifendes Know-how und ein feines Gespür für Dynamiken zwischen Management, Eigentümern und Belegschaft mit. Auch die Verfügbarkeit der richtigen Persönlichkeiten ist begrenzt. Gerade in mittelständisch geprägten Märkten mit spezialisierten Branchen kann es sinnvoll sein, auf bewährte Kräfte zurückzugreifen – auch wenn sie mehr als drei Mandate innehaben. Und nicht zuletzt hängt effektive Aufsicht weniger an der Anzahl, sondern an der Zeit- und Sorgfaltsspanne, die ein Mitglied jedem Mandat widmet.
Der Aufsichtsrat wird neu gedacht – mit anderen Auswahlwegen
Die wahre Transformation liegt jedoch tiefer: Der professionelle Aufsichtsrat entwickelt sich vom ehrenvollen Titelträger zum fokussierten Gestalter. Entscheidend ist die Bereitschaft, sich tief in das Geschäftsmodell, die Risiken, Chancen und strategischen Spannungsfelder eines Unternehmens einzuarbeiten – und sich dabei fortlaufend weiterzubilden. Immer mehr Mandatsträger:innen nutzen Plattformen wie die Directors Academy, um sich auf dem aktuellen Stand regulatorischer und betrieblicher Entwicklungen zu halten.
Gleichzeitig werden die traditionellen Rekrutierungskreise dünner. Immer öfter zeigt sich: Die besten Kandidat:innen stehen nicht auf der Liste, sondern klopfen selbst an. Deshalb sollten Aufsichtsratsvorsitzende Initiativbewerbungen aktiv prüfen und wertschätzen – gerade weil sie meist aus klarer Motivation, Kenntnis des Unternehmens und echter Gestaltungsbereitschaft heraus entstehen. Wer den Markt ernst nimmt, sollte auch seine Türen öffnen.
Und auch in der umgekehrten Richtung gilt: Wer als aktive:r Aufsichtsrat oder Beirat noch Kapazität hat, sollte gezielt überlegen, bei welchen Unternehmen das eigene Profil einen Unterschied machen könnte. Eine fokussierte, durchdachte Vorstellung als Kandidat:in – idealerweise mit Bezug zur Strategie, Branche und Herausforderung des Unternehmens – kann Türen öffnen, wenn klassische Netzwerke versagen.
Fazit: Aufsicht ist kein Ehrenamt im Nebenerwerb
Die Debatte um Rüdiger Grube markiert mehr als einen Einzelfall. Sie steht für den Strukturbruch in der Gremienwelt: weg vom Vielmandat, hin zur Vertiefung. Wer heute Aufsicht verantwortungsvoll betreiben will, braucht Zeit, Fokus – und die Bereitschaft zur ständigen Erneuerung.
Ein Beitrag der Directors Academy, der digitalen Weiterbildungsplattform für Aufsichtsräte und Beiräte, verfasst von Dr.Viktoria Kickinger