Kaum ein Unternehmen kennt seine Tier-2-Lieferanten: Warum die EU-Regulierung an der Realität vorbeigeht

17. Jan.. 2025 | Der Aufsichtsrats-Blog, Finanzinstitute, Kapitalgesellschaften, Management

Die neuen EU-Lieferkettensorgfaltspflichten (CSDDD) stellen Unternehmen und Aufsichtsräte vor erhebliche Herausforderungen. Obwohl Nachhaltigkeit und Menschenrechte in globalen Lieferketten zweifellos wichtig sind, zeigt sich, dass die Umsetzung der Regulierung an der Realität scheitert. Eine Studie der Montanuniversität Leoben macht deutlich: Kaum ein Unternehmen kennt seine Tier-2-Lieferanten.

Tier-2-Lieferanten? Ein kaum bekanntes Terrain

Die meisten Unternehmen haben keinen Überblick über ihre indirekten Lieferanten (Tier 2) – ein zentrales Element der CSDDD. Wie soll Nachhaltigkeit entlang der gesamten Lieferkette gewährleistet werden, wenn schon die zweite Ebene ein blinder Fleck ist? Diese Überforderung zieht sich durch alle Ebenen, von den Unternehmen bis zu den Aufsichtsräten.

Aufsichtsräte und Unternehmen am Limit

Aufsichtsräte verbringen mittlerweile bis zu ein Drittel ihrer Tätigkeit mit administrativen Berichtspflichten. Diese Überlastung behindert ihre strategische Arbeit und schwächt ihre eigentliche Kontrollfunktion. Auch die Unternehmen stöhnen: Die Flut neuer Vorschriften kam in den letzten Jahren Schlag auf Schlag, ohne Zeit für eine nachhaltige Umsetzung.

Studie als Weckruf

Die Studie der Montanuniversität Leoben/ Österreich von Gerald Feichtinger und Wolfgang Posch zeigt die immense Überforderung auf:

  • Nur 30 % der europoäischen Unternehmen kennen die CSDDD-Anforderungen ausreichend.
  • Die meisten wissen nicht, wer ihre indirekten Lieferanten sind.
  • Viele zentrale Vorgaben, wie die Einhaltung von Mindestlöhnen, werden nicht erfüllt.

Die Autoren fordern mehr Klarheit und Zeit, damit Unternehmen die Regularien schrittweise umsetzen können.

Initiativen für praxisnahe Regulierung

Europaweit formieren sich Initiativen, die sich für eine praxistauglichere Umsetzung der CSDDD einsetzen. Sie verlangen:

  1. Übergangsfristen und Pilotphasen, um die Anforderungen machbar zu gestalten.
  2. Klare Leitlinien, die weniger komplex und praxisnaher sind.
  3. Realismus, um Berichtsanforderungen an die Unternehmensrealität anzupassen.

Fazit: Weniger ist mehr

Die Tatsache, dass kaum ein Unternehmen seine Tier-2-Lieferanten kennt, spricht für sich. Unternehmen und Aufsichtsräte stöhnen nicht, weil sie Nachhaltigkeit ablehnen, sondern weil die Intensität und Umsetzung der Regularien unrealistisch sind.

Es ist Zeit, innezuhalten und die Vorgaben zu straffen. Europa braucht eine Regulierung mit Augenmaß – pragmatisch, realistisch und effektiv. Wir werden über Initiativen berichten, die sich für vernünftige Lösungen stark machen. Denn die Notbremse zu ziehen, bedeutet nicht, Ziele aufzugeben, sondern sie nachhaltig und machbar zu gestalten.

Viktoria Kickinger, Aufsichsrätin

Aufsichtsrats-Blog durchsuchen

E-Mail-Newsletter

Directors Essentials

Mit dem kostenlosen Governance-Newsletter Directors Essentials erhalten Sie Wissenswertes aus der Welt der Corporate Governance: Von aktueller Rechtsprechung und neuen Regularien bis hin zu Veranstaltungshinweisen.

Newsletter abonnieren

* Pflichtfeld
Ich interessiere mich für Neuigkeiten im Bereich

Weitere Aufsichtsrats-Blogs

WordPress Cookie-Hinweis von Real Cookie Banner