Gastbeitrag von Holger Clemens Hinz, CEFA Leiter Kapitalmarktgeschäft der Quirin Privatbank AG, Schatzmeister im Verband Kapitalmarkt KMU sowie Aufsichtsrat der MIG Capital und der ERIC Group
Familienunternehmen sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – geprägt von unternehmerischer Eigenverantwortung, langfristigem Denken und tiefer Verwurzelung in Werten und Traditionen sowie Verortung in der jeweiligen Herkunftsregion. Doch in Phasen der Transformation – sei es durch Wachstum, Nachfolge, Krisen oder neue Marktanforderungen – geraten die bisherigen, oft stark eigentümerzentrierten Entscheidungsprozesse an ihre Grenzen. Besonders bei komplexen Finanzierungsfragen zeigt sich: Der Weg vom unternehmerischen Alleingang zur strukturierten, gemeinsam verantworteten Entscheidung ist kein Kontrollverlust, sondern ein strategischer Fortschritt.
Hier rückt der Aufsichtsrat zunehmend in den Mittelpunkt. Seine Rolle verändert sich – von der reinen Überwachungsinstanz hin zum aktiven Mitgestalter von Finanzierungslösungen.
1. Von der Einzelentscheidung zur strukturierten Mitgestaltung
In vielen Familienunternehmen war es lange üblich, dass Finanzierungsentscheidungen in einem engen Kreis – oft ausschließlich durch die Eigentümerfamilie oder die Geschäftsführung – getroffen wurden. Heute ist klar: Gerade bei strategisch relevanten Maßnahmen wie Fremdkapitalaufnahmen, Private-Equity-Beteiligungen oder Anleiheemissionen braucht es einen unabhängigen, sachkundigen Sparringspartner. Der Aufsichtsrat übernimmt hier eine wichtige Rolle: Er bringt Objektivität, strukturelle Tiefe und die Fähigkeit zur kritischen Reflexion ein – und wird damit zum echten Entscheidungspartner, nicht zum nachgelagerten Kontrollorgan.
2. Moderation zwischen finanzieller Logik und familiären Werten
Finanzierungsfragen berühren in Familienunternehmen mehr als nur Bilanzkennzahlen – sie betreffen häufig auch Identität, Einfluss und Zukunft der Unternehmerfamilie. Der Aufsichtsrat fungiert hier als Vermittler zwischen Ratio und Emotion: Er sorgt dafür, dass Finanzierungsentscheidungen nicht isoliert nach kurzfristigen Renditezielen getroffen werden, sondern im Einklang mit den langfristigen Zielen und Werten der Familie stehen. Besonders in Verhandlungen mit externen Investoren schützt ein starker Aufsichtsrat die unternehmerische Unabhängigkeit und schlägt Alternativen vor, wenn zentrale Prinzipien gefährdet sind.
3. Professionalisierung durch Expertise und Netzwerke
Die Transformation von Familienunternehmen erfordert zunehmend eine andere, professionelle Finanzierungsarchitektur. Aufsichtsräte, die über tiefgehende Kenntnisse in Strukturierungsfragen, Bankverhandlungen und alternativen Finanzierungsformen verfügen, bringen hier echten Mehrwert. Sie helfen nicht nur, die besten Optionen zu identifizieren, sondern eröffnen durch ihre Netzwerke auch Zugänge, die ohne sie nicht verfügbar wären – etwa zu spezialisierten Investoren, Förderinstitutionen oder Corporate-Finance-Beratern.
4. Governance als Qualitätssignal für den Kapitalmarkt
Die Erwartungshaltung von Kapitalgebern hat sich verändert: Banken, Investoren und auch Rating-Agenturen achten heute verstärkt auf Governance-Strukturen. Ein aktiver, kompetenter Aufsichtsrat ist ein Signal an den Markt: Dieses Unternehmen ist bereit, Verantwortung zu teilen, transparent zu agieren und professionell geführt zu werden. In einem Umfeld, das zunehmend auf ESG-Kriterien und nachhaltige Steuerung setzt, ist dies ein klarer Wettbewerbsvorteil – gerade für Familienunternehmen, die traditionell in persönlicher Verantwortung geführt wurden.
5. Risikobewertung und nachhaltige Finanzierung
Finanzierung ist kein Selbstzweck – sie soll Wachstum ermöglichen, Risiken begrenzen und strategische Handlungsfähigkeit sichern. Der Aufsichtsrat prüft Finanzierungskonzepte auf ihre Langfristigkeit, Belastbarkeit und Vereinbarkeit mit Unternehmenszielen. Er fordert Szenarien, stellt kritische Fragen zu Covenants, Rückzahlungsmodalitäten und externen Einflussnahmen – und trägt damit aktiv zur Risikominimierung bei. Auch bei der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Finanzierungsstrategie nimmt er eine zunehmend gestaltende Rolle ein.
Fazit
Die Einbindung des Aufsichtsrats in Finanzierungsentscheidungen markiert in vielen Familienunternehmen einen kulturellen Wandel: Weg vom alleinentscheidenden Unternehmer – hin zu einem gemeinsamen, strukturierten Entscheidungsprozess. Das ist kein Verlust an Kontrolle, sondern ein Gewinn an Qualität, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit.
Der Aufsichtsrat wird damit zum strategischen Partner der Transformation – ein Vertrauter, der nicht verwaltet, sondern mitgestaltet. Für Familienunternehmen, die in Zeiten des Wandels wachsen, investieren oder sich neu für eine nachhaltige Zukunft aufstellen wollen, ist seine frühzeitige und aktive Einbindung heute ein Gebot der unternehmerischen Vernunft.
Holger Clemens Hinz, CEFA ist Leiter Kapitalmarktgeschäft der Quirin Privatbank AG, Schatzmeister im Verband Kapitalmarkt KMU sowie Aufsichtsrat der MIG Capital und der ERIC Group https://www.linkedin.com/in/holger-clemens-hinz-cefa-2a7859/

