Wie der Mittelstand ungebremst in die ESG-Falle schlittert

28. Jun. 2024 | Der Aufsichtsrats-Blog, Kapitalgesellschaften, Management

Die gesetzlich verpflichtende Berichtspflicht über die Aktivitäten eines Unternehmens in den Bereichen Umwelt, soziale Standards sowie der Corporate Governance (ESG) überfordert vor allem größere Mittelständler. Die Zeit drängt.

Hohe Kosten und personalintensive Anforderungen

Viele mittelständische Unternehmen in Deutschland sind bisher kaum oder nur sehr unzureichend auf die #ESG -Berichtspflicht vorbereitet, die mit der bevorstehenden Umsetzung der ESG-Richtlinie in nationales Recht bevorsteht. Studien zeigen, dass diese Unternehmen die Einführung des ESG-Reportings als teuer, personalintensiv und oft wenig nützlich ansehen. Die Mehrheit der befragten Entscheider (90 Prozent) rechnet mit zusätzlichen Kosten und zweifelt am Nutzen des ESG-Reportings.

Wunsch nach Automatisierung, aber Umsetzungsprobleme

Obwohl 82 Prozent der größeren Mittelständler ein automatisiertes ESG-Reporting bevorzugen, sind sie im operativen Alltag noch weit von der Umsetzung entfernt. Ab 2024 geforderte ESG-Kennzahlen müssen erst entwickelt werden, und viele Unternehmen definieren gerade erst die Prozesse zur Datenerfassung. Viele Entscheider sind zudem der Ansicht, dass das ESG-Reporting die operative Steuerung ihres Unternehmens nicht verbessern wird.

Kritik von Rechtsexperten

Namhafte Rechtsexperten fordern bereits eine Abkehr von den intensiven Berichtspflichten. Pro 200 Millionen Euro Umsatz wird schätzungsweise ein zusätzlicher Mitarbeiter für das ESG-Reporting benötigt, was zu enormen Kosten für die Wirtschaft führt. Bei den größten Unternehmen wird dieser Bedarf bei 12-15 Mitarbeitern gedeckelt. Diese zusätzliche finanzielle Belastung stellt eine erhebliche Herausforderung dar, insbesondere für mittelständische Unternehmen, die ohnehin mit begrenzten Ressourcen arbeiten.

Pflichten ab 2024 und 2026

Ab diesem Jahr müssen alle börsennotierten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern eine Nachhaltigkeitsberichterstattung vorlegen. Ab 2026 sind etwa 15.000 Unternehmen dazu verpflichtet, einen ESG-Bericht zu erstellen und zu veröffentlichen. Eine automatisierte Lösung wäre ressourcenschonend und effizient, doch der Weg dorthin ist mit erheblichen Hürden verbunden.

Schwierige Umsetzung und Fachkräftemangel

Die für das ESG-Reporting benötigten Daten sind – wenn derzeit überhaupt verfügbar – in den meisten Unternehmen in verschiedenen IT-Systemen, Dokumenten und Abteilungen verstreut. Diese Daten müssen in der gewünschten Qualität verfügbar gemacht werden. Um ein automatisiertes ESG-Reporting zu erreichen, sind erhebliche Investitionen in die IT-Infrastruktur erforderlich. Die Alternative wäre die Einstellung zusätzlicher Fachkräfte, die jedoch schwer zu finden sind.

Herausforderung für die Aufsichtsräte

Als #Aufsichtsräte stehen wir vor der zusätzlichen Herausforderung, die Plausibilität und Richtigkeit dieser Berichte zu prüfen und zu bestätigen. Dies lässt sich nicht ohne die Beurteilung der zugrunde liegenden Prozesse zur Datenerhebung und Auswertung bewerkstelligen. Angesichts der Komplexität und der Vielzahl der benötigten Daten erscheint dies nahezu unmöglich. Die gesetzliche Verantwortung, die uns auferlegt wird, stellt eine erhebliche Belastung dar und erfordert eine kritische Reflexion und Vieles mehr.

Aufruf zur kritischen Reflexion

Es ist an der Zeit, die intensiven ESG-Berichtspflichten kritisch zu hinterfragen. Die zusätzlichen Kosten und personellen Anforderungen stellen eine erhebliche Belastung für den Mittelstand dar. Eine Anpassung der gesetzlichen Vorgaben, die eine praktikable und wirtschaftlich tragbare Umsetzung ermöglicht, ist dringend erforderlich.

Viktoria Kickinger, Aufsichtsrätin Mittelstand

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