Pflichten des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft (AG)
Rolle und gesetzliche Verankerung.
Der Aufsichtsrat ist im dualistischen System der AG das unabhängige Kontrollorgan des Vorstands. Seine Rechte und Pflichten ergeben sich primär aus § 111 AktG (Überwachung; Einsichts- und Auskunftsrechte), § 116 AktG (Sorgfalt, Verschwiegenheit; Verweis auf § 93 AktG) sowie § 171 AktG (Prüf- und Berichtspflichten gegenüber der Hauptversammlung). Diese Normen bilden das Pflichtengerüst guter Corporate Governance und sind zugleich Anknüpfungspunkt möglicher Haftung. (Gesetze im Internet)
1) Kernpflicht: Überwachung der Geschäftsführung
Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung laufend zu überwachen; dafür kann er Berichte verlangen, Einsicht in Bücher/Schriften nehmen, Vermögensgegenstände prüfen und Sachverständige hinzuziehen. Diese Überwachung ist gesetzlich unabdingbar. (Gesetze im Internet)
Zustimmungsvorbehalte (§ 111 Abs. 4 AktG).
Die Maßnahmen der Geschäftsführung darf der Aufsichtsrat nicht an sich ziehen; Satzung oder Aufsichtsrat können aber bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen (klassisches Governance-Instrument). Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, kann der Vorstand eine Entscheidung der Hauptversammlung verlangen. (dejure.org)
2) Sorgfalt, Loyalität und Verschwiegenheit (§ 116 i. V. m. § 93 AktG)
Aufsichtsratsmitglieder haben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Organwalters anzuwenden, Interessenkonflikte zu vermeiden/offenzulegen und über vertrauliche Berichte/Beratungen Verschwiegenheit zu wahren. § 116 AktG erklärt dazu die Haftungs- und Sorgfaltsregeln des § 93 AktG für entsprechend anwendbar (inkl. spezieller Verjährung in Abs. 6). (Gesetze im Internet)
(Hinweis: Für „unternehmerische Entscheidungen“ kodifiziert § 93 Abs. 1 S. 2 AktG die sog. Business-Judgment-Rule für den Vorstand; in Literatur und Praxis wird ihre Schutzwirkung bei eigenen Ermessensentscheidungen des Aufsichtsrats über § 116 AktG analog diskutiert.) (aufsichtsrat-handbuch.de)
3) Prüfung und Bericht (§ 171 AktG)
Der Aufsichtsrat prüft Jahres- und ggf. Konzernabschluss samt Lagebericht und berichtet schriftlich hierüber an die Hauptversammlung. Zu prüfen sind – sofern erstellt – auch die nichtfinanzielle (Konzern-)Erklärung bzw. der gesonderte nichtfinanzielle Bericht sowie der Ertragsteuerinformationsbericht nach HGB. Das stärkt Transparenz und Corporate Governance und konkretisiert die Rechte und Pflichten im Prüfprozess. (buzer.de)
4) Verfolgungspflicht („ARAG/Garmenbeck“)
Mit BGH, Urt. v. 21. 04. 1997 – II ZR 175/95 („ARAG/Garmenbeck“) hat der II. Zivilsenat klargestellt: Der Aufsichtsrat muss Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder prüfen und – wenn aussichtsreich und zumutbar – verfolgen; die Entscheidungsrechte der Hauptversammlung entbinden ihn nicht von dieser Pflicht. Unterlassenes Verfolgen kann eine eigene Pflichtverletzung des Aufsichtsrats begründen. (dejure.org)
5) Haftung und Verjährung des Aufsichtsrats
Verletzt ein Aufsichtsratsmitglied Pflichten schuldhaft, haftet es der Gesellschaft auf Schadensersatz (§ 116 i. V. m. § 93 AktG). Für die Verjährung gilt § 93 Abs. 6 AktG analog: 10 Jahre bei börsennotierten Gesellschaften, sonst 5 Jahre (maßgeblich für die Einordnung ist der Zeitpunkt der Pflichtverletzung). (Gesetze im Internet)
Wesentlich präzisiert wurde dies durch BGH, Urt. v. 18. 09. 2018 – II ZR 152/17: Lässt der Aufsichtsrat Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied pflichtwidrig verjähren, beginnt die Verjährung des Sekundäranspruchs gegen das Aufsichtsratsmitglied erst mit der Verjährung des Primäranspruchs gegen den Vorstand. Praktisch verlängert das die Durchsetzungsmöglichkeiten erheblich. (juris.bundesgerichtshof.de)
6) Onboarding (Best Practice der Corporate Governance)
Rechtssicheres Onboarding operationalisiert die Pflichten aus §§ 111, 116, 171 AktG: strukturierte Einarbeitung in Satzung/Geschäftsordnung, aktuelle Risiko- und Compliance-Lage, Ausschussarbeit sowie Vertraulichkeits- und Interessenkonflikterklärungen. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) empfiehlt eine angemessene Unterstützung von neuen Aufsichtsratsmitgliedern bei der Amtseinführung sowie laufende Fortbildung. (dcgk.de)
Quintessenz
Der Aufsichtsrat sichert wirksame Überwachung des Vorstands (§ 111 AktG), erfüllt Sorgfalts-, Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflichten (§ 116 i. V. m. § 93 AktG), prüft und berichtet ordnungsgemäß (§ 171 AktG) und verfolgt pflichtwidriges Verhalten des Vorstands (ARAG/Garmenbeck). Wer diese Rechte und Pflichten systematisch umsetzt, reduziert persönliche Haftung und etabliert mit professionellem Onboarding robuste Corporate-Governance-Standards. (Gesetze im Internet)
Quellen
- Aktiengesetz (Auszüge):
– § 111 AktG – Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats (Überwachung; Zustimmungsvorbehalte). (Gesetze im Internet)
– § 116 AktG – Sorgfaltspflicht, Verschwiegenheit; Verweis auf § 93 AktG. (Gesetze im Internet)
– § 93 Abs. 6 AktG – Verjährung (10/5 Jahre). (Gesetze im Internet)
– § 171 AktG – Prüfung und Bericht des Aufsichtsrats (inkl. NFR/Ertragsteuerinfos). (buzer.de) - BGH-Rechtsprechung:
– BGH, 21. 04. 1997 – II ZR 175/95 („ARAG/Garmenbeck“) – Pflicht zur Prüfung/Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Vorstände. (Vernetzungsnachweis + Volltext) (dejure.org)
– BGH, 18. 09. 2018 – II ZR 152/17 – Verjährungsbeginn des Sekundäranspruchs gegen Aufsichtsräte. (amtlicher Volltext) (juris.bundesgerichtshof.de) - Kodex/Best Practice:
– Deutscher Corporate Governance Kodex (aktuelle Fassung/„Supervisory Board Procedures“; Empfehlung zu Unterstützung/Fortbildung). (dcgk.de) - Einordnende Praxis-/Fachbeiträge (zur Vertiefung):
– Überblick zu Verjährungsfolgen II ZR 152/17 (kanzleil. Analyse). (heuking.de)
– Prüfungs-/Berichtspflichten und NFR-Bezug (§ 171 AktG) – Praxisleitfäden. (PwC)