Künstliche Intelligenz nimmt im Aufsichtsrat Platz – Wie Sie gleichwohl Herr*in am Entscheidungstisch bleiben

30. Sep. 2021 | Der Aufsichtsrats-Blog, Kapitalgesellschaften

Im Mai 2017 ernannte die Investmentgesellschaft Deep Knowledge Ventures aus Hongkong ein System künstlicher Intelligenz (KI) mit Namen „VITAL“ zum Mitglied im Aufsichtsrat. Aufgabe des KI Systems ist es, alle verfügbaren Daten logisch und unvoreingenommen auszuwerten, bevor eine Investitionsentscheidung getroffen wird. Das Unternehmen entschloss sich zu diesem Schritt, nachdem es in hochumjubelte Projekte investiert hatte und dann plötzlich kurz vor der Insolvenz stand. Der Aufsichtsrat von Deep Knowledge Ventures darf keine Entscheidungen mehr treffen, die den Feststellungen des KI Systems VITAL entgegenstehen. Experten des Asia Nikkei Review schätzten 2017, dass es nur fünf Jahre dauern wird, bis AI Systeme ständiges Mitglied jedes Aufsichts- und Verwaltungsrates sein werden, der professionelle Standards sicherstellen möchte. BlackRock nutzt das KI System Aladdin schon viele Jahre, um Investitionsrisiken zu berechnen. Hinter dem Akronym „Aladdin“ (Asset, Liability, and Debt, and Derivative Investment Network) verbergen sich 6000 Computer, die BlackRock und seine Kunden vor Fehleinschätzungen sichern sollen.

Wir dürfen schnelle Entwicklungen erwarten, die unsere logisch analytischen Fähigkeiten im Aufsichtsrat weitgehend überflüssig machen. Auch wenn KI-Systeme uns zu Sitzungsbeginn noch nicht mit Handschlag begrüßen werden, oder wie Aladdin nicht im Raum sind, auf logisch analytischem Gebiet werden wir Menschen nicht mithalten können. Gleichwohl verfügen wir bereits heute über Fähigkeiten, die gewährleisten, dass die KI unser Diener bleibt und wir Herr und Herrin des Geschehens. Diese Fähigkeiten gilt es jedoch wieder zu entdecken, zu trainieren und einzusetzen.

Was verstehen wir heute unter KI? KI bezieht sich auf Systeme, die intelligentes Verhalten zeigen, indem sie ihre Umgebung analysieren und – mit einem gewissen Maß an Autonomie – Maßnahmen ergreifen, um bestimmte Ziele zu erreichen. AI kann rein Softwarebasiert sein und in der virtuellen Welt agieren, in Analysesoftware wie Aladdin, in Suchmaschinen, in Sprach- und Gesichtserkennungssystemen oder in Sprachunterstützern. AI kann sich in Hardwaregeräten verbergen wie z.B. in fortschrittlichen Robotern, autonom fahrenden Autos, Drohnen oder in Internet der Dinge-Anwendungen. Sie alle arbeiten auf der Grundlage rein rationaler Intelligenz. Sie wählen die beste Aktion aus, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen und geben dabei bestimmte, zu optimierende Kriterien sowie die verfügbaren Ressourcen an. Wie erreicht die KI Rationalität? Sie erkennt die Umgebung, in der sie sich befindet durch Sensoren, sammelt und interpretiert Daten, „überlegt“, sprich berechnet, was wahrgenommen wird, oder verarbeitet die abgeleiteten Informationen und entscheidet dann, welche Maßnahme am besten umgesetzt werden kann. KI-Systeme verwenden entweder symbolische Regeln oder lernen numerische Modelle. Sie können ihr Verhalten auch anpassen indem sie analysieren, wie die Umgebung durch ihre vorherigen Aktionen beeinflusst wird. Wenn sie nur mit einem sogenannten Samen-Algorithmus starten wie Googles „AlphaGo Zero“ und selbst erlernen können, dringen sie innerhalb von wenigen Tagen in analytisch strategische Dimensionen vor, die in der Menschheitsgeschichte bisher unerreicht sind.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten als Aufsichtsrat der Bayer AG mit über die Monsanto Investition entscheiden müssen. Wie hätten Sie gestimmt? Hätte VITAL oder ein ähnliches KI System anders gestimmt? Tausende von Risiko- und Ertragsfaktoren sind im immer komplexer, globaler und volatiler werdenden Umfeld eines Unternehmens zu berücksichtigen. Das kann heute kein Mensch auf rationale Weise mehr leisten. Die Kapazität unserer linken Großhirn Hemisphäre, die für Logik und Analytik zuständig ist, ist dazu nicht auseichend und beansprucht im Gegensatz zur KI Schlafpausen, ist nach dem Mittagessen müde oder abgelenkt. Vor allem ist sie nicht durch persönliche Ambitionen beeinflusst. Jeder Aufsichtsrat, der noch glaubt, die wesentlichen Vor- und Nachteile sowie naheliegenden Konsequenzen von Investitionen oder De-Investitionen logisch beurteilen zu können, verwechselt Erfahrung und Erinnerungen mit unvoreingenommener Intelligenz.

Unsere Welt ist dabei sich drastisch zu wandeln und die Art wie wir damit im Aufsichtsrat umgehen muss das auch. Im Jahr 2006 veröffentlichte das Weltwirtschaftsforum seinen ersten Globalen Risiko Bericht und nannte vier Risiken. Wir diskutierten damals nur den möglichen Ölpreisschock und seine Konsequenzen für das Unternehmen. Die anderen drei, Influenza-Pandemie, Terrorismus und Klimawandel, spielten für uns keine Rolle. Im Jahr 2019 listete der Globale Risiko Bericht des Weltwirtschaftsforum zehn Risiken auf: (1) Extremwetterereignisse, (2) Fehler bei der Anpassung und Eindämmung des Klimawandels, (3) Naturkatastrophen, ( 4) Datenbetrug oder -diebstahl, (5) Cyberangriffe, (6) vom Menschen verursachte Umweltkatastrophen, (7) unfreiwillige Migration in großem Maßstab, (8) Verlust der biologischen Vielfalt und Zusammenbruch des Ökosystems, (9) Wasserkrise und (10) Aktiva Blasen in einer großen Wirtschaft. Wir dürfen annehmen, dass 2020 weitere hinzukommen, wie etwas Massenunruhen, die wir gerade von Hong Kong bis Venezuela erleben. Als Aufsichtsräte haben wir die Aufgabe das große Ganze zu sehen und weit vorausschauend zu agieren. Dabei hilft uns die rechte Hemisphäre unseres Großhirns. Sie ist bei den meisten von uns jedoch erlahmt. Sie wurde weder in unserer Ausbildung hinreichend gefördert und gefordert, noch hat unsere Arbeit im Dienste der Unternehmen sie bisher bewusst abgefordert. Die meisten von uns wissen platt ausgedrückt weit weniger darüber wie ihr „Denkkästchen“ funktioniert als wie ihr iPad Pro.

Unser Gehirn ist ein höchst komplexes Organ. Für diesen Artikel reicht es zu verstehen, dass wir über zwei Großhirn Hemisphären verfügen, die die Welt völlig unterschiedlich betrachten und entsprechend auch mit ihr umgehen.

In der linken Hemisphäre unseres Großhirns manifestieren sich unsere Fähigkeiten logisch zu denken, verbal zu kommunizieren, zu interpretieren, zu analysieren, zu überlegen, zu berechnen, zu differenzieren und eine Strategie zu entwickeln. Sie lässt uns kritisch kategorisieren, organisieren, beschreiben, beurteilen und analysieren. Sie gibt allem einen Namen und einen Ort und alles muss an diesem Ort sein. Die linke Hemisphäre ist immer damit beschäftigt Ihren Wert danach zu beurteilen, wie viel Sie jeden Tag leisten und dafür erhalten. Sie definiert Grenzen, was richtig und falsch ist, gut und schlecht, vermischt rational und moralisch. Die linke Großhirn Hemisphäre nimmt uns selbst als von anderen getrennt wahr. Sie liebt es, Geschichten zu erfinden und uns dann zu erzählen. Sie verwebt Details in einen schlüssig klingenden Sachverhalt und überbrückt Faktenlücken durch Wunschdenken. Die Lücken zwischen dem, was wir wirklich wissen und dem, was wir gerne glauben möchten, weil wir es so haben wollen, verschwimmen dabei beständig. Übertriebene Erwartungen an die Ergebnisse unserer Geschäftsvorhaben resultieren aus dieser Aktivität unser linken Großhirn Hemisphäre ebenso wie das unausgesprochene persönliche Bemühen um Anerkennung, Erfolg und Ehre.

Die rechte Großhirn Hemisphäre verbindet uns demgegenüber mit allem was lebt und existiert, da sie eine andere Art der Einsichtsgewinnung verwendet. Sie erlebt das Hier und Jetzt wie es wirklich ist. Sie versorgt uns mit Begeisterung, Furchtlosigkeit und Freundlichkeit. Sie nimmt das Leben und die Dinge so, wie sie wirklich sind. Die rechte Großhirn Hemisphäre nimmt wahr, dass wir mit jedem und allem auf energetischem Niveau verbunden sind. Sie betrachtet alle Menschen als gleichberechtigte Mitglieder der Menschenfamilie und nimmt eine Einheit aller Lebewesen auf der Erde und mit dem Universum wahr. Es ist offen für neue Möglichkeiten, dafür Neues auszuprobieren und nutz Chaos als ersten Schritt zu endloser Kreativität. Sie konzentriert sich auf das Gesamtbild und kann eine langfristige Vision entwickeln. Das mag Ihnen zunächst unwahrscheinlich klingen, doch alles, was ich hier vorstelle, ist wissenschaftlich bewiesen. Das Funktionieren beider Großhirn Hemisphären sogar in ungewollter Erforschung am eigenen Gehirn durch eine heute weltbekannte Neurowissenschaftlerin.

Jill B. Taylor verlor durch einen Schlaganfall für einige Jahre die Fähigkeiten ihrer linken Großhirn Hemisphäre. Nachdem sie wieder gesundet war, beschrieb sie aus der Sicht des Gehirnspezialisten, wie sie die Welt wahrnahm und mit ihr agierte, als ihr nur die rechte Hemisphäre zur Verfügung stand. Innerhalb von vier Stunden nach dem Schlaganfall verlor sie zunächst ihre Fähigkeit zu gehen, zu sprechen, zu lesen, zu schreiben oder sich an Aspekte ihres Lebens zu erinnern. Sie verlor Zeit und Raumgefühl. In der linken Hemisphäre befinden sich Zellen, die unsere Orientierung und Assoziation regeln und die Grenzen unseres Körpers definieren, an denen wir in Bezug auf den Raum um uns herum beginnen und enden. Prof. Taylor war darauf beschränkt, nur die rechte Hemisphäre ihres Großhirns zu benutzen. Sie erlebte so die Grenzenlosigkeit ihres Körpers und wurde eins mit allen anderen und der Welt um sie herum. Sie wurde frei von Angst. Sie sah sich selbst und alle anderen um sich herum als ein Bündel von Energie. Wir würden genau dasselbe erleben und uns auf der Ebene der Atome, Teilchen, Energiewellen und Schwingungen sehen, die das Universum und uns ausmachen.

Wenn wir der Herr und die Herrin am Aufsichtsratstisch bleiben wollen, gilt es die Fähigkeiten der rechten Großhirn Hemisphäre zu aktivieren und beständig zu trainieren. Nur sie versehen uns mit der Fähigkeit der Gesamtschau aller Dinge und ermöglichen es uns, langfristig tragfähige Visionen für eine unternehmerisch, menschlich und ökologisch nachhaltig lebenswerte Zukunft zu entwickeln. Beides Fähigkeiten, über die AI Systeme auch in absehbarer Zeit noch nicht verfügen werden. Wie Sie die Kapazität Ihrer rechten Großhirn Hemisphäre im Aufsichtsrat als Einzelne(r) und als Gremium wieder aktivieren und trainieren können, erfahren sie im e-Buch „The Board Member Pro“ (erhältlich bei Amazon).

Dr. Martina Violetta Jung, gelernte Wirtschaftsanwältin, beaufsichtigt seit fast zwei Jahrzehnten als Aufsichtsrätin und Treuhandgesellschafterin Unternehmen in Deutschland, Belgien und Luxemburg. Sie verbindet in diesem e-Buch neuste KI Entwicklungen, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Menschen und vielfältige internationale Erfahrung in Europa und Asien mit eigenhändigen Illustrationen zum Schmunzeln und tieferen Reflektieren.

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