Die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 über die Societas Europeae (SE-VO) verweist in erheblichen Teilen ins nationale Aktienrecht (insbesondere: Art. 40 Abs. 4 SE-VO). Eine in Deutschland gegründete SE gleicht in ihrem Aufbau demnach im Wesentlichen einer Aktiengesellschaft nach dem Aktiengesetz. Eine typische deutsche SE hebt sich daher von SEs in vielen Mitgliedsstaaten durch ihre dualistische Verwaltungsgliederung in Vorstand und Aufsichtsrat ab (Art. 40 Abs. I SE-VO), wenn sie durch Umwandlung einer national gegründeten Aktiengesellschaft entsteht.
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft in den Verwaltungsorganen der Gesellschaft stellt die Schnittstelle zwischen Arbeits- und Gesellschaftsrecht dar, ein Übergang, der gerade bei einem Wechsel des Gesellschaftsstatuts häufig Unklarheiten aufwirft.
Das OLG München hat sich in einem Beschluss vom 26.03.2020 (Az. 31 Wx 278/18) mit der Zusammensetzung des Aufsichtsrates bei der Umwandlung einer AG in eine SE auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Eine AG mit 1751 Arbeitnehmern in Deutschland (weltweit: über 2000) wurde aufgrund eines – im Übrigen zum 29.04.2013 wirksam beschlossenen – Umwandlungsplanes in eine SE umgewandelt. Der Gesellschaftssitz verblieb dabei in Deutschland, womit die Organisationsstruktur der SE sich nach dem AktG richtet.
Ein Aktionär der AG stellte am 16.08.2017 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates nach § 98 AktG (sogenanntes Statusverfahren) an das zuständige LG. Das LG wies den Antrag, in dem der Antragsteller die fehlerhafte Zusammensetzung des Aufsichtsrates rügt, zurück. Auf die Beschwerde des Angeklagten hin legte es die Sache dem OLG vor.
Der Aufsichtsrat setze sich zum betreffenden Zeitpunkt ausschließlich aus Anteilseignervertretern zusammen, Arbeitnehmer waren im Aufsichtsrat nicht vertreten. Für die Umwandlung wurde eine Vereinbarung im Sinne von § 21 Abs. 3 SEBG darüber geschlossen, dass sich auch der SE-Aufsichtsrat ausschließlich aus Anteilseignervertretern zusammensetzen solle.
Problemstellung
Das LG begründete die Abweisung des Antrages mit § 96 Abs. 4 AktG und folgerte aus dessen Sinn und Zweck, dass bei der Bildung des Aufsichtsrates nach der Umwandlung grundsätzlich Kontinuität zu wahren sei. Maßgeblich sei dabei der Ist-Zustand, nicht der Soll-Zustand der Aufsichtsratsbesetzung.
Dies ist aus folgendem Grund relevant: grundsätzlich ist denkbar (im Ergebnis mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen allerdings auch abzulehnen), dass die ausschließliche Vertretung von Anteilseignern im Aufsichtsrat der AG bereits gegen § 1 Abs. 1 des Mitbestimmungsgesetzes verstieß. Dieser Verstoß begründet nach dem LG nur dann die Pflicht zur Neubesetzung des Aufsichtsrates, wenn dies nach §§ 97, 98 AktG vom Vorstand oder einem Gericht festgestellt würde.
Ein Verstoß gegen die Mitbestimmungsvorschriften ist allerdings nur dann gerichtlich festzustellen, wenn dies auch in zulässiger Art und Weise beantragt wird. Problematisch ist hier die Antragsbefugnis, die sich aus § 98 Abs. 2 Satz 2 AktG ergibt und ausschließlich auf Arbeitnehmerseite liegt. Der Antragsteller war als Aktionär der AG nicht antragsbefugt, weswegen das LG einen Verstoß gegen das MitbestimmungsG nicht prüfte. Dementsprechend war der Aufsichtsrat der AG mangels entgegenstehender Feststellung zu behandeln, als wäre er rechtmäßig besetzt gewesen.
Das OLG verwies in diesen Zusammenhang auf einen Beschluss des BGH vom 23.07.2019 (Az. II ZB 20/18), in dem der BGH herausgestellt hatte, dass die Kontinuität selbst dann zu wahren ist, wenn ein Statusverfahren bereits vor der Umwandlung (vollendet mit der Eintragung der Gesellschaft als SE im Handelsregister) anhängig gewesen ist.
Wenn vor der Eintragung einer durch formwechselnde Umwandlung gegründeten, dualistisch aufgebauten Europäischen Gesellschaft (SE) in das Handelsregister ein Statusverfahren eingeleitet worden ist, richtet sich die in diesem Verfahren festzulegende Zusammensetzung des Aufsichtsorgans […] danach, wie der Aufsichtsrat vor der Umwandlung nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften richtigerweise zusammenzusetzen war.
Leitsatz zu BGH II ZB 20/18
Hieraus geht eindeutig hervor, dass mit der Umwandlung in eine SE grundsätzlich kein Bruch in der Zusammensetzung des Aufsichtsrates gewollt ist, selbst wenn diese bereits streitgegenständlich ist. Dies bedeutet, dass das MitbestimmungsG (oder DrittelbeteiligungsG, wie der BGH auch klarstellte) in der SE grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen anwendbar ist wie in der AG.
Vereinbarungen über die Mitbestimmung
Der vorliegende Fall unterscheidet sich allerdings von dem vom BGH entschiedenen darin, dass hier eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat nach § 21 Abs. 3 des SE-Beteiligungsgesetzes geschlossen wurde.
In den Fokus rückt hier zunächst § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG, der über die Frage entscheidet, ob nach der Umwandlung weiterhin die dargestellte Rechtslage maßgeblich ist. Nach diesem ist auf die Mitbestimmung in den Verwaltungsorganen der SE nämlich ausschließlich das SEBG anwendbar, das in § 35 Abs. 1 allerdings das Kontinuitätsprinzip bestätigt. Das SEGB als solches wirkt sich also nicht auf die Rechtslage nach der Umwandlung aus, es ergibt sich kein Unterschied zum oben dargestellten.
Schließlich stellt sich noch die Frage nach dem Verhältnis der Vereinbarung über die Mitbestimmung nach § 21 Abs. 3 SEBG. Wie dem Zweck des Mitbestimmungsrechtes nach zu erwarten, gibt es auch hier eine Beschränkung der Vertragsfreiheit, die sich aus § 21 Abs. 6 SEBG, der die Grenze zieht, dass der Mitbestimmungsstandard von vor der Umwandlung durch die Vereinbarung nicht unterlaufen werden darf. Darüber hinaus existieren keine Beschränkungen, sodass auch hier die Kontinuität der Rechtslage im Hinblick auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates das Ergebnis ist.
Fazit
Das Prinzip der Kontinuität der Aufsichtsratszusammensetzung, das im AktG niedergelegt ist, wird vom Europarecht anerkannt und ist daher ein bestimmender Grundsatz in allen Statusverfahren, unabhängig davon, ob diese vor oder nach der Umwandlung anhängig werden. Es ist dennoch unabdingbar, sich bewusst zu machen, ob sich die mitbestimmungsrechtlichen Regeln, die zum gegebenen Zeitpunkt anwendbar sind, aus nationalem Recht oder SEBG ergeben, insbesondere im Hinblick auf Ausnahmen im Einzelfall und auf die Wirksamkeit von Vereinbarungen über die Mitbestimmung.
Autoren: Tobias Nielsen & Johannes Kurzbuch
Unternehmensrecht Aktuell ist ein juristischer Fachblog, begründet von Johannes Kurzbuch und Tobias Nielsen.