Die ersten Impfungen haben begonnen
Bei über 94 Millionen Corona-Infizierten Mitte Januar 2021 – das Virus ist also erst bei einem verschwindenden Bruchteil der Weltbevölkerung angekommen! – aber schon 2 Millionen Corona-Toten wurden die Impfstoffe sehnlichst erwartet. In der Tat konnten die Firmen BioNtech, Curevac und Moderna mit der neuen mRNS Technologie Impfstoffe in weniger als 1 Jahr entwickeln und am Menschen testen – ein großartiger Rekord! Gleichzeitig scheint diese neue Technologie mit einer hohen Wirksamkeit verbunden zu sein. Die 1. Zulassung weltweit erfolgte in Großbritannien für den BioNtech Impfstoff, Mitte Dezember 2020 erhielt er auch die Zulassung in den USA. Auch der Moderna Impfstoff ist in den USA und der EU zugelassen. Allerdings können die genannten Firmen alleine nicht die gesamte Welt innerhalb kürzester Zeit versorgen. Weitere Markteinführungen von Impfstoffen mit unterschiedlichen Wirkprinzipien werden mit Nachdruck vorangetrieben.
Keine kurzfristige Entwarnung oder Normalität
Man wird aber Mitte 2021 kaum zur normalen Geschäftstätigkeit zurückkehren können. Es gibt noch viel zu wenig Impfstoff und die Impfung der Weltbevölkerung kann und wird ohnehin nicht über Nacht erfolgen.
Die ständige Impfkommission in Deutschland (Stiko) hat für unser Land empfohlen, erst die über 80-Jährigen, Heimbewohner, Rettungsdienst und Personal in medizinischen Notaufnahmen zu impfen, dann ältere Menschen (76-80 Jahre) und weitere Gruppen der beruflich Exponierten, sodann die Gruppe der 71-75 Jährigen, etc. Deshalb ist mit der breiten Impfung der unter 60-jährigen (also dem größten Teil der arbeitenden Bevölkerung) erst in einigen Monaten zu rechnen. Und noch eine Klarstellung kommt von der Stiko: „Die bisher vorliegenden Daten erlauben nicht die Schlussfolgerung, dass die COVID-19-Impfung die Erregerübertragung reduziert oder verhindert. Bis zum Vorliegen neuer Daten zum Schutz der Impfung vor Transmission müssen deshalb auch nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutzmaßnahmen (Beachtung von Abstands- und Hygieneregeln) weiterhin eingehalten werden“.
Resilienz optimieren
Um die jetzige, noch länger andauernde Krise zu überstehen, aber auch, um sich für zukünftige, ungewöhnliche Belastungen zu rüsten, sind durch den Aufsichtsrat grundlegende strategische Fragen zu stellen, die weitreichende Konsequenzen haben können: Überprüfung der Validität des Geschäftsmodells in einer sich ändernden Welt, ggfs. Änderung, Erkennen von attraktiven Targets, die bei einer Neu-Ausrichtung des Geschäfts in der Krise akquiriert werden könnten, Nutzung und Anpassung existierender Technologien für andere, neue Zwecke, Reduktion der Abhängigkeit von einem oder ganz wenigen Produkten, höhere Diversifizierung, um nur einige Punkte zu nennen. Es geht darum, Neues zu denken, Neues aufzubauen und neu flexibel und erfolgreich zu werden.
Es ist aber auch festzuhalten, dass sich der Welthandel nach dem Einbruch im Frühjahr2020 bis zum Herbst erstaunlich schnell erholt hat, auch getrieben von der raschen wirtschaftlichen Entwicklung Chinas, in 2020 wohl die einzige große Volkswirtschaft mit positivem Wachstum. Die zweite Corona-Welle hält aber an und so bleibt es für Unternehmen wichtig, verschiedene Szenarien der Entwicklung der Pandemie auf dem Radar zu halten und deren Einfluß auf das eigene Geschäft zu analysieren. Meine Voraussage ist, dass die aktuelle hohe Corona-Übertragung noch eine Weile anhalten wird. Unabhängig von der Zahl der Impfungen wird sich danach die Lage im Sommer entspannen. Der echte „Stresstest“ für die Impfungen wird dann im 4. Quartal 2021 erfolgen. Wenn dann genügend Immunität in der Bevölkerung aufgebaut ist, sollten die hohen Infektionszahlen des Winters 2020/21 ausbleiben.
Keine Rückkehr zum Status quo
Arbeit und Kommunikation sind viel digitaler geworden. Mitarbeiter haben mehr Eigenverantwortung, benötigen aber auch ein sehr gutes Selbstmanagement. Eine vermehrte Nutzung der Online-Meetings und damit eine Reduktion der Reise-Tätigkeit wird auch nach der Corona-Pandemie die neue Arbeitswelt charakterisieren. Hybride Events, weniger Events, eine Steigerung der Wertigkeit der Treffen, die dann noch stattfinden, werden die Folge sein. Budgets werden in verschiedenen Szenarien durchzuplanen sein und die Zyklen der Budgetierung werden kürzer werden.
Gleichzeitig sind Gefahren und Risiken, die sich aus der vermehrten Nutzung der Digitalisierung und der De-Zentralisierung der Arbeit ergeben, zu analysieren, um wirkungsvolle Sicherheitskonzepte zu implementieren. Diese Konzepte müssen sowohl Technologien als auch Menschen einschließen. So sind u.a. die Plattformen, die zu Videokonferenzen genutzt werden, auf Datensicherheit und -schutz zu prüfen, aber auch das Verhalten der Mitarbeiter ist entscheidend. Sie müssen sich in der isolierten Arbeitssituation im home office ihrer hohen Verantwortung bewußt sein, sich im Zweifelsfall bei Kollegen Rat holen und sich abstimmen. Auch die seelische Gesundheit der Mitarbeiter ist zu betrachten, nicht jeder ist für isoliertes Arbeiten geboren. Entsprechende Training- und Coaching-Angebote können das Bewußtsein der Mitarbeiter über ihre Verantwortung, aber auch den Umgang mit dem isolierten Arbeiten verbessern und den Zusammenhalt in der Firma trotz der physischen Trennung positiv beeinflussen.
Insgesamt geht es darum, dass Unternehmen Ihre Resilienz optimieren. Firmen, die in dieser komplexen Zeit einen freien, holistischen Blick auf die Zukunft werfen und nicht zuletzt Ihre Lieferketten krisenfest machen, werden in der Post-Corona Welt blühen. Dies erfordert vom Aufsichtsrat ein Denken in Risiken aus Quellen jenseits von Finanzen und Politik und die entsprechenden Kompetenzen.
Die Autorin, Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff, ist Aufsichtsrätin bei Merck KGaA und Mitglied des Gesellschafterrates. Ferner Aufsichtsrätin bei 4SC. Sie war Gründerin und Geschäftsführerin der Biopharma-Firma AiCuris, die ein erfolgreiches Medikament gegen Viren in den Markt gebracht hat. Sie ist Mitglied der Nationalen Akademie Leopoldina.