Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds

20. Okt. 2023 | Der Aufsichtsrats-Blog, Finanzinstitute, Kapitalgesellschaften, Management

Rechtsprechung OLG Karlsruhe / Leitlinien

Das Verhalten eines Aufsichtsratsmitglieds kann auch dann einen maßgeblichen Grund für dessen Abberufung darstellen, wenn es nicht direkt mit seiner Aufsichtsratstätigkeit in Verbindung steht.

Zusammenfassung

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat in einem Beschluss vom 1. März 2022 klargestellt, dass Aufsichtsratsmitglieder aus wichtigem Grund abberufen werden können, selbst wenn das beanstandete Verhalten nicht unmittelbar mit ihrer Rolle im #Aufsichtsrat zusammenhängt. Der Fall bietet Leitlinien für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern aus solch einem Grund.

Konkreter Fall

Im entschiedenen Fall forderte der Aufsichtsrat einer großen Europäischen Gesellschaft in der Rechtsform einer SE die Abberufung eines Mitglieds aus dringendem Anlass. Dieses Mitglied, das gleichzeitig als Arbeitnehmer für die Gesellschaft tätig war, hatte seit 2019 auch eine Position im Aufsichtsrat als Vertreter der Gewerkschaft inne. Zudem war es Betriebsratsvorsitzender.

Hintergrund

Ein Betriebsratskollege des besagten Aufsichtsratsmitglieds geriet aufgrund einer Whistleblower-Meldung in den Verdacht, über mehrere Jahre hinweg ohne Genehmigung vom Dienst fernzubleiben. Während einer internen Untersuchung zu diesen Anschuldigungen manipulierte das betreffende Aufsichtsratsmitglied E-Mails und Dokumente, um vorzutäuschen, dass der Arbeitskollege wegen “Urlaubs” nicht an Betriebsratssitzungen teilnehmen konnte. Das Mitglied gestand später diese Manipulationen und erklärte, es habe dem Kollegen helfen wollen.

Rechtliche Schritte

Daraufhin wurde das Arbeitsverhältnis des Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund gekündigt. Zusätzlich beantragte der Aufsichtsrat die gerichtliche Abberufung beim Registergericht gemäß Artikel 9 Absatz 1 lit. c ii) der SE-Verordnung und § 103 Absatz 3 Satz 1 AktG. Das Registergericht gab dem Antrag statt und setzte die Abberufung in Kraft. Das betroffene Aufsichtsratsmitglied legte daraufhin Beschwerde beim OLG Karlsruhe ein.

Gerichtliche Entscheidung

Das OLG Karlsruhe bestätigte die Entscheidung des Registergerichts und erklärte, dass ein wichtiger Grund im Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds vorliege.

Gemäß dem Gericht könne ein wichtiger Grund im Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds dann vorliegen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände eine Fortsetzung seiner Amtszeit für die Gesellschaft nicht zumutbar sei. Dies könne der Fall sein, wenn die Funktionalität des Aufsichtsrats erheblich beeinträchtigt wird oder wenn die Gesellschaft Schaden erleidet. Hierbei sei zu prüfen, wie sehr der Grund für die Abberufung das Interesse der Gesellschaft an einem funktionierenden Aufsichtsrat beeinflusst. Es sei dabei zu beachten, dass die Tätigkeit im Aufsichtsrat im Interesse des Unternehmens erfolge und daher Unternehmensinteressen vor den individuellen Interessen der Mitglieder des Aufsichtsrats stünden.

Ein wichtiger Grund könne auch dann bestehen, wenn das Mitglied seine primären Organpflichten nicht verletze. Entscheidend sei, ob das Verhalten negative Auswirkungen auf das Unternehmen habe, sei es auf den Geschäftsverlauf, den Ruf der Gesellschaft oder die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat.

Dies gelte auch für Verfehlungen außerhalb der Organarbeit. Ein Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten und der Aufsichtsratstätigkeit sei ausreichend. Selbst wenn das Fehlverhalten rein persönlicher Natur sei, könne es als ein maßgeblicher Grund betrachtet werden, wenn es Auswirkungen auf das Unternehmen habe, wie mögliche Reputationsschäden. Ein solcher Grund könne auch bestehen, wenn das Fehlverhalten Zweifel an der Eignung des Mitglieds für seine Aufgabe im Aufsichtsrat aufkommen lasse.

Das OLG betonte zudem, dass eine Kollision von Pflichten – wie im vorliegenden Fall, wo das Mitglied gleichzeitig Betriebsratsvorsitzender war – die Schwere des Fehlverhaltens nicht mindere. Das Verhalten werde als Ganzes beurteilt.

Abschließend stellte das Gericht fest, dass das Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds das Vertrauen in seine Integrität und Zuverlässigkeit untergraben habe, wodurch es als ungeeignet für die Aufgabe als Mitglied des Aufsichtsrats erwiesen sei. Ein wichtiger Grund habe daher vorgelegen.

Schlussfolgerungen

Der Beschluss des OLG Karlsruhe verdeutlicht den Maßstab für die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds aus erheblichem Grund und bietet praxisrelevante Leitlinien. Er zeigt klar auf, dass auch außerhalb der Organarbeit liegende, sogar private Verfehlungen als erheblicher Grund für die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds betrachtet werden können. Dabei betonte das Gericht jedoch, dass nicht jedes außerorganisatorische Fehlverhaltenausreiche, um einen wichtigen Grund anzunehmen. Es sei erforderlich, dass das Verhalten tatsächliche Auswirkungen auf das Unternehmen habe, was insbesondere bei potenziellen Schäden für den Ruf der Gesellschaft der Fall sein könne. In diesen Aspekt fällt auch das Interesse der Gesellschaft an der Integrität der Mitglieder des Aufsichtsrats.

Der Beschluss betont die hohe Verantwortung von Aufsichtsratsmitgliedern für die Interessen des Unternehmens. Eine strikte Trennung zwischen den Bereichen Aufsichtsratstätigkeit, anderen Unternehmensaufgaben (wie beispielsweise Betriebsratsmitgliedschaft) und persönlichem Leben ist dabei nicht möglich. Außerorganisatorische Fehltritte können daher durchaus einen erheblichen Grund für die Abberufung darstellen.

Directors Academy (Redaktion)

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