Mangelware Mut: Warum Quotenregelungen nicht reichen, um Frauen für Spitzenpositionen zu gewinnen | Teil 1

17. Jan. 2022 | Der Aufsichtsrats-Blog, Management

Gastbeitrag von Nela Novakovic

Deutschland ist das einzige Land im internationalen Vergleich, in dem kein einziger der 30 größten Konzerne einen Frauenanteil von 30 Prozent im Vorstand erreicht und in dem keines dieser Unternehmen von einer Frau geführt wird. Dabei mangelt es nicht an Führungsfrauen in den deutschen Unternehmen. Es gibt jede Menge gut ausgebildete Frauen – doch ihr Potenzial liegt noch viel zu oft brach. Das zu ändern, liegt nicht allein in der Hand des Gesetzgebers, der mit dem zweiten Führungspositionengesetz die Weichen dafür stellt. Es ist vielmehr eine Frage von Angebot und Nachfrage: Es ist einerseits eine Frage von Angeboten, die ein Unternehmen seinen weiblichen Führungskräften und dem Führungsnachwuchs machen kann, um den Schritt Richtung Chefsessel zu erleichtern. Und andererseits hängt die Nachfrage nicht zuletzt davon ab, ob Frauen sich diesen Schritt zutrauen. Ihre innere Haltung kann dazu beitragen oder eben auch verhindern, dass sie diese Angebote in Anspruch nehmen. Den Frauenanteil in Vorstand und Geschäftsführung zu steigern ist keine reine Bringschuld von Unternehmen.

Lieber Schattenkönigin als Frontfrau

Weibliche Potenzialträger sollten vorhandene Chancen wahrnehmen statt sie an sich vorüberziehen zu lassen. Das hat viel mit Entschlossenheit zu tun. Tatsächlich ist es unerlässlich, auf der persönlichen Ebene den Mut für solche Positionen und die damit verbundenen Führungsaufgaben aufzubringen. Doch vielen Frauen mangelt es noch immer an Mut. Die Frauenanteile in den einzelnen Berufsgruppen in Branchen wie Handel, Produktion und Dienstleistungen haben sich seit Anfang der Neunziger Jahre kaum verändert. Ich erlebe selbst im Personalgespräch, wie Frauen zaudern und zögern, wenn ihnen Chancen zur beruflichen Weiterentwicklung geboten werden. Sie scheuen die Verantwortung, fürchten die schwierige Vereinbarkeit von Job und Familie, zweifeln an ihrer Qualifikation. Als COO eines mittelständischen Pharmaunternehmens stelle ich immer wieder fest, dass fähige und fachlich versierte Frauen den Schritt ins Top-Management nicht wagen, sondern lieber in der zweiten Reihe verharren. Von dort aus agieren sie dann als Schattenkönigin. Sie gleichen die Defizite ihrer Vorgesetzten aus, übernehmen indirekt die Führung und tragen unsichtbar Verantwortung. Auf diese Weise tauchen sie in keiner Statistik weiblicher Top-Manager auf, obwohl sie längst das Zeug dazu hätten.


Über den eigenen Schatten springen statt im Schatten zu bleiben

Was hindert solche Frauen daran, auf dem Chefsessel Platz zu nehmen? Es ist meist Angst. Die Angst, zu versagen, nicht gut genug zu sein, sich gegenüber Mitarbeitenden und Kollegen nicht durchsetzen zu können, dem Stress der Führungsverantwortung nicht standhalten zu können. To be continued. Ich habe selbst zwei Kinder und weiß, was es bedeutet, zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen austarieren zu müssen. Doch in der Regel gibt es für viele befürchtete Schwierigkeiten eine Lösung – sie zu finden, setzt Offenheit und die Bereitschaft, über den Tellerrand zu schauen, voraus.
Angst sollte kein Hinderungsgrund für berufliches Fortkommen sein. Es lohnt sich, der Angst auf den Grund zu gehen, worst case-Szenarios gedanklich durchzuspielen und dann festzustellen, dass die Angst unnötig ist, weil die Konsequenzen längst nicht so gravierend sind wie befürchtet. Doch Mut erlernt man durchs Tun, nicht durch intellektuelles Verarbeiten von Was wäre, wenn… oder Was passiert, wenn….“ Nichts entkräftet vorhandene Ängste mehr als sich selbst zu beweisen, dass die Angst unnötig war. Es gilt also, nicht nur aus dem Schatten ins Licht zu treten, sondern auch über den eigenen Schatten zu springen und etwas zu wagen. Und seinen Hut auch für Positionen in den Ring zu werfen, die sonst aufgrund von Selbstzweifeln ob des eigenen Könnens eher ausgeschlossen werden.


Hand in Hand statt Einzelkampf

Für Unternehmen heißt das, auf geeignete Kandidatinnen zuzugehen und ihnen entsprechende Angebote zu machen. Vorgesetzte können Einfluss darauf nehmen, dass Mitarbeiterinnen mutiger werden, indem sie Kandidatinnen mit Führungspotenzial persönlich auffordern, sich auf Führungspositionen zu bewerben. Sie können ihnen die Angst vor der Herausforderung nehmen, indem sie vermitteln, was genau mit der Position verbunden ist, welche Erwartungen, aber auch welche Entlastungen es seitens des Unternehmens gibt. Mentoring-Programme oder Coachingangebote können ebenfalls helfen, um Hemmnisse abzubauen. Keine Frage: Es ist noch ein langer Weg zu paritätisch besetzten Chefetagen – zum Ziel gelangen wir Schritt für Schritt, mit Ausdauer, Ehrgeiz und Engagement aller Beteiligten. Aber für den ersten Schritt braucht es vor allem eines: Mut.


Autor: Nela Novakovic trifft als COO eines japanischen Pharmaunternehmens täglich taktische Entscheidungen. Sie leitet, verwaltet, entwickelt und perfektioniert strategische Maßnahmen.

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