Shitstorms werden zum Alltag

16. Nov. 2021 | Der Aufsichtsrats-Blog, Management

Gastbeitrag von Falk S. Al-Omary
(Krisenkommunikator, PR- und Markenspezialist)

Die Debattenkultur wird rauer. Das spüren nicht nur Wissenschaftler und Politiker, sondern auch Unternehmer und andere Verantwortungsträger. Wer qua Amt oder Aufgabe eine gewisse Fallhöhe erreicht, Entscheidungen mit Tragweite zu treffen oder einen Prominentenstatus hat, und sei dieser nur in einer bestimmten Region oder Branche, zieht heutzutage schnell den Zorn auf sich. Die Empörungskultur scheint grenzenlos. Shitstorms in den sozialen Netzwerken sind nicht selten die Folge. Und immer öfter greifen auch vermeintlich seriöse Medien die gemachten Vorwürfe auf und tragen sie vom Netz ins reale Leben. Wutbürger, Gutmenschen oder Trolle unterscheiden sich dabei in ihren Methoden kaum. Wer sich für oder gegen etwas ereifert, braucht heutzutage vor allem eine Währung: Reichweite. Um die zu bekommen sind Vorwürfe gegen Entscheidungs- und Leistungsträger nur allzu willkommen. Die weit verbreitete Neidkultur trägt ihr Übriges dazu bei, dass selbst abstruse Vorwürfe inzwischen öffentliche Debatten bestimmen können. Fake News sind leider kein Problem von Medienschaffenden in Nachrichtenkanälen, sondern bestimmen zunehmend den Alltag auch in der Wirtschaft. Fast jeder kann zur Zielscheibe werden – mit einer Entscheidung, einer Äußerung, einem falschen Geschäftskontakt oder einer kleinen Unzulänglichkeit in der Lieferkette. Shitstorms werden schon sehr bald zum unternehmerischen Alltag.

Doch wie sollen Entscheider mit dieser Gefahrenlage umgehen in einer Zeit, in der unbequeme Entscheidungen mehr denn je zu treffen sind und eine Meinung zu haben immer wichtiger wird? Darf, ja muss man schweigen, statt Stellung zu beziehen, wo doch alle Marketingexperten von der unabdingbaren Notwendigkeit sprechen, eine glasklare Positionierung zu haben und sich von anderen abzugrenzen? Ist nicht Abgrenzung gerade von bestimmten Gruppen und Milieus das Gebot der Stunde?

Verantwortungsträger in der Wirtschaft, vom CEO über den Vorstand bis zum Aufsichtsrat, ja teilweise sogar die zweite und dritte Management-Ebene, müssen lernen, Medien und mediale Wechselwirkungen zu verstehen und zu beherrschen. Sie brauchen Medienkompetenz. Im Grunde kommt heute kein Unternehmen, das die Größe einer Frittenbude übertrifft, mehr ohne eine Presseabteilung aus. Diese kann auch extern sein. Es muss sich jemand professionell darum kümmern, dass die eigenen Botschaften und Wahrheiten nach außen dringen – und dies nicht erst dann, wenn der Shitstorm schon im vollen Gange ist.

Ein Shitstorm ist immer ein Angriff auf die Reputation einer Person oder eines Unternehmens, nicht selten auch auf beides. Reputation ist dabei wie ein Konto, auf dem man Kapital hat, das man jederzeit mehren kann, oder man hat eben Schulden, weil versäumt wurde, Vorsorge zu treffen oder die Reputation zur Unzeit angegriffen wurde. Immer noch etwas einzuzahlen zu haben, lohnt sich. Reputation wird zur Ressource. Das gilt gleichermaßen für Unternehmen und Marken wie für die handelnden Manager und Akteure.

Einen Shitstorm muss man demzufolge auch begreifen als Kampf um die Ressourcen: Wer hat die besseren Nerven, die erfolgreicheren Anwälte, mehr Finanzkraft, belastbarere Netzwerke, treuere Verbündete, attraktivere und reichweitenstärkere Kanäle, schnelleren Zugang zu Medien und Redaktionen? Das gilt es zu analysieren, um dann die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Kommunikation, zumal bei Shitstorms, ist wie ein Krieg. Es geht darum, wer mehr motivierte Truppen und schlagkräftigeres Material ins Feld führen kann. Samthandschuhe helfen leider nur selten.

Doch bevor die Schlacht beginnt, sollte eines auf jeden Fall erfolgen: Aufklärung. Jeder Shitstorm hat einen Anlass und eine Ursache – in der Regel ist das nicht dasselbe. Sich zumindest intern schonungslos ehrlich zu machen, zu ergründen, was an Vorwürfen wahr ist oder sein könnte, wo gegebenenfalls weitere Schwachstellen zu finden sind, ist das A und O. Das Schlimmste in einem Shitstorm ist der Selbstbetrug, man sei frei von Fehlern und könne alles von sich weisen. Denn eines ist gewiss: Hat der Kampf erstmal begonnen, wird er so schnell nicht enden. Und irgendeiner findet immer was.

Zum Autor:

Falk S. Al-Omary ist Krisenkommunikator, PR- und Markenspezialist. www.al-omary.com

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